Basketball: Nachruf auf NBA-Ikone Jerry West (2024)

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In der Geschichte des Basketballs hat es nur wenige gegeben, die ihn wirklich gemeistert haben. Deren Verständnis dieses Sports vollkommen war. Jerry West war so einer.

Trotzdem erinnerte sich West bloß mit Verbitterung und Schmerz an seine eigene Karriere.

Am Mittwoch starb West im Alter von 86 Jahren. An vielen Stellen wird er geehrt, sein letzter Arbeitgeber Los Angeles Clippers bezeichnete ihn als »personifizierte Exzellenz im Basketball«. Michael Jordan sprach davon, einen »Freund, Mentor und großen Bruder« verloren zu haben. Er habe sich früher immer gewünscht, West mal auf dem Platz als Gegenspieler gegenüberzustehen, so Jordan. »Aber je besser ich ihn kennengelernt habe, desto mehr hätte ich mir gewünscht, ihn als Teamkollegen gehabt zu haben.«

Die größte Würdigung gab es aber bereits zu seinen Lebzeiten. Denn gewissermaßen ist West sogar die Personifizierung des Basketballs selbst. Immerhin diente er als Vorlage für das Logo der stärksten, berühmtesten Liga der Welt: der National Basketball Association (NBA).

West wurde im Laufe seines Lebens eine Anerkennung von außen zuteil, die er sich selbst nie geben konnte. Wenn er über seine Karriere sprach, dann meist mit Scham. West sah sich als Versager.

Auf gewisse Art war er das, aber auf dem allerhöchsten Niveau. Als Spieler formte der Spielmacher West seine Los Angeles Lakers, bei denen er 15 Jahre verbrachte, zu einem Spitzenteam. Von seinem Karrierebeginn 1960 bis 1970 schaffte es West siebenmal bis in die NBA-Finals.

Jedes Mal verlor er.

»Ich wollte nicht noch einmal sterben«

Meistens hieß der Gegner Boston Celtics, angeführt von Bill Russell. »Es tat weh, dass ich sie nie besiegen konnte. Egal, wie gut ich spielte, es schien nie genug zu sein«, erzählte West einmal über die ungleiche Rivalität mit den Celtics. Wie zum Hohn für seine vergebliche Brillanz ist West bis heute der einzige Spieler, der je zum wertvollsten Spieler der NBA-Finals gewählt wurde, obwohl er zum Verliererteam gehörte.

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Jene Finalserie gegen die Celtics ging 1969 bis ins entscheidende siebte Spiel. Trotz einer Glanzleistung scheiterte die Aufholjagd der Lakers knapp, ehe West dann auch noch ausgezeichnet wurde. »Ich wollte in diesem Moment meine Karriere beenden. Für mich war es ein Spiel um Leben und Tod, und ich wollte nicht noch einmal sterben«, sagte West.

Was West auszeichnete, waren seine schnellen Hände gegen den Ball und ein Offensivstil, der seiner Zeit voraus war. Er war nicht besonders athletisch und nur 1,91 Meter groß. In den Sechziger- und Siebzigerjahren beherrschten riesige Hünen den Basketball. Entschieden wurden Spiele vor allem in Korbnähe, es gab noch keine Dreipunktelinie, und Guards waren vor allem dafür zuständig, ihren größeren Mitspielern den Ball zu liefern. West war aber selbst ein Scorer, der vor allem durch zackige Dribblings und Distanzwürfe zu seinen Punkten kam. Genau die Spielweise, die heute am populärsten ist. Wenn man so will, ist West der sportliche Urahn von Stephen Curry.

West litt an Depressionen

Aber obwohl West mit anderen Ausnahmespielern wie Elgin Baylor und Gail Goodrich zusammenspielte, klappte es mit der Lakers-Meisterschaft erst nach Russells Karriereende und mithilfe von Russells ewigem Rivalen Wilt Chamberlain. 1972 gewannen die Lakers 33 Spiele in Folge – bis heute Rekord – und wurden Meister. Endlich.

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»Das war ein schönes Gefühl, aber es linderte nie die Schmerzen der Niederlagen zuvor«, sagte West über den größten Triumph seiner Karriere. Sogar im Moment seiner vermeintlichen Erlösung verfiel West in übermäßige Strenge und erinnerte gleich an sein Scheitern, anstatt zu feiern.

Es ist ein Verhalten, das typisch für ihn war. In Interviews neigte West dazu, jedes Lob zu relativieren. Zeitgenossen beschrieben ihn als wortkarg und rastlos. Seine erste Ehefrau berichtete, dass er sich kaum öffnen konnte und nach schweren Niederlagen allein sein wollte. »Er nahm Niederlagen schwerer als jeder andere Spieler, den ich jemals gekannt habe«, sagte der legendäre Lakers-Kommentator Chick Hearn mal: »Danach saß er allein da und starrte ins Leere. Eine Niederlage hat ihm einfach die Eingeweide herausgerissen.«

2011 erzählte West in einer Fernsehsendung, dass er als Kind das Opfer von schwerer häuslicher Gewalt durch seinen Vater wurde und schon sein ganzes Leben lang an Depressionen gelitten habe. »Ich ging damals mit dem Gefühl ins Bett, dass ich gar nicht mehr leben wollte«, sagte West in der Sendung, »ich war manchmal so niedergeschlagen, während alle anderen so gut drauf waren, weil ich mich selbst nicht mochte«.

Basketball sei seine Therapie gewesen, schrieb West in seinen 2011 veröffentlichten Memoiren »West by West: My Charmed, Tormented Life«. Zeit seines Lebens habe er sich oft »wertlos« gefühlt, und um das zu bekämpfen, habe er seine Energie in das Spiel gesteckt.

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Vielleicht erklärte der, für Depressionen typische, nach innen gerichtete Zorn, warum West auch nach seinem Karriereende 1974 sein Heil im Basketball suchte. Nach einer kurzen Zeit als Lakers-Trainer wurde er Manager seines alten Teams – und war darin mindestens so gut wie früher als Spieler. Nur, dass es dieses Mal geradezu Titel regnete.

Der Architekt von Dynastien

Erst baute er die ikonischen »Showtime«-Lakers der Achtzigerjahre um die Superstars Earvin »Magic« Johnson und Kareem Abdul-Jabbar auf. Das Team gewann fünf Meisterschaften. Mitte der Neunzigerjahre legte West nach und vereinte bei den Lakers den Center Shaquille O’Neal mit Kobe Bryant. Von 2000 bis 2002 gab es drei Titel in Folge, später legten die Lakers mit Bryant zwei weitere nach (2009 und 2010).

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Doch es war noch nicht genug. Das größte Team der Neuzeit, die Golden State Warriors, entstammen auch dem Skizzenblock des genialsten Architekten der NBA-Historie. Von 2011 an arbeitete West für den Klub aus Kalifornien und war am Aufbau des Mannschaftskerns um Stephen Curry, Klay Thompson, Draymond Green beteiligt. Das Projekt brachte bis dato vier Meisterschaften.

Und zu guter Letzt war West bei den Los Angeles Clippers 2019 daran beteiligt, die Superstars Kawhi Leonard und Paul George zusammenzubringen – ein Duo, das ohne schweres Verletzungspech vielleicht auch schon einen Titel geholt hätte.

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Am Ende seiner Laufbahn stand ein beispielloses Resümee. Ob direkt oder indirekt, nachdem er seine Wirkungsstätten bereits verlassen hatte – insgesamt war West als Spieler oder Funktionär an 15 NBA-Meisterschaften beteiligt. Sein Erfolg war ihm selbst aber nur ein schwacher Trost für seine eigene Laufbahn. Auch im Alter sprach er mit Verbitterung von seiner aktiven Zeit.

Als West Anfang der Siebzigerjahre noch selbst spielte und noch kein Meister geworden war, gaben die Lakers einmal eine »Jerry West Night«. Zu Gast bei dieser Feier zu Ehren des David der NBA war auch Goliath: Bill Russell. »Jerry, du bist in jeder Hinsicht ein Champion«, sagte die Celtics-Legende damals. »Wenn ich einen Wunsch freihätte, wäre es, dass du immer glücklich bist.«

Dieser Wunsch ging leider nie in Erfüllung.

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